Gruss der Sektionsleitung zur Passionszeit und zu Ostern

Gruss der Sektionsleitung zur Passionszeit und zu Ostern


Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde der Medizinischen Sektion!

In dieser Osterzeit begehen wir das 100-jährige Gedenken an Rudolf Steiners Übergang in die geistige Welt. Dies kann vor allem eine Zeit der tiefen Dankbarkeit sein. Es ist uns so viel gegeben worden. Wir können immer noch spüren, dass wir wirklich erst am Anfang stehen, diese zutiefst menschliche Medizin mit der Welt zu teilen.

Bald nach dieser Jahrhundertmarke werden wir auch einen Punkt erreichen, an dem alle Bücher, Vorträge, Meditationen und Briefe Steiners veröffentlicht sein werden – zumindest in deutscher Sprache. Es war eine gewaltige Arbeit, all das zu sammeln und zu dokumentieren, was er geteilt hat. Sofern nicht noch eine unerwartete Sammlung von Briefen oder ein unbekanntes Manuskript entdeckt wird, bedeutet dies, dass wir Zugang zu allen aufgezeichneten Inhalten haben, die Steiner hinterlassen hat. Dies bedeutet eine gewisse Vollendung.

Steiner sprach speziell über Jahrhundertmarken, darüber, dass ein Samen eines Gedankens oder einer Tat 33 Jahre benötige, um zu reifen, und dass er nach der Reifung weitere 66 Jahre lang in der „historischen Evolution“ weiterarbeite. „Man erkennt die Intensität eines Impulses, den der Mensch ins geschichtliche Werden hineinlegt, auch in seiner Wirksamkeit durch drei Generationen, durch ein ganzes Jahrhundert hindurch."(1)

Wir können also fragen: Wo stehen wir heute, nach einem Jahrhundert der Entfaltung, einem Jahrhundert der Dokumentation und Veröffentlichung? Es fühlt sich manchmal so an, als ob die geistigen Hüllen um unsere anthroposophische Arbeit dünner werden; eine Verschiebung, die wir aufgrund von Steiners Beschreibung der 33- und 99-Jahres-Zyklen erwarten könnten. Wohin sollen wir uns dann wenden?

Eine Antwort ist, sich zu vergewissern, dass es unsere Aufgabe ist, nicht nur die Vergangenheit zu bewahren, sondern auch aktiv an der Zukunft mitzuarbeiten. Und dafür müssen wir unsere Gliedmaßen einsetzen. Wir tun dies durch Begegnung. Während unsere Köpfe einen Abdruck und Ausdruck der Vergangenheit darstellen, pflanzen unsere Begegnungen kontinuierlich karmische Samen für die Zukunft.

Wenn wir über Steiners Leben nachdenken, dann erkennen wir nicht nur einen produktiven Redner und Autor, sondern auch einen Menschen, der im Bereich der menschlichen Begegnung in überbordender Weise aktiv war. Er war ständig auf Reisen, besuchte viele Orte und hielt nicht nur Vorträge, sondern bot auch vielen Menschen Gespräche und Beratungen an. Steiner erzählte von der besonderen Bedeutung der Gliedmaßen: „Sie gehen ja außerdem herum, Sie kommen in Beziehung zu andern Wesen. Wenn Sie das alles malen würden, was Ihre Hände und Beine tun, und ein Bild im Laufe Ihres Lebens entwerfen würden – es würde ein sehr bewegtes Bild werden – von dem, was Ihre Hände und Füße, Arme und Beine tun, dann würden Sie in dieser Zeichnung eine komplizierte Landkarte erblicken; aus der würden Sie viel von dem verraten bekommen, was Ihnen karmisch aufbewahrt ist für Ihre nächste Inkarnation.“(2)

Wir alle sind Teil einer Kette anthroposophischer Begegnungen, die nun in ihr zweites Jahrhundert geht, eines Stroms von Gliedertätigkeit, der sich über mehrere Generationen erstreckt und immer weiter in die Zukunft führt.

Unsere Arbeit mit der Geisteswissenschaft geschieht nicht nur durch Lesen und Studieren, sondern durch die Begegnung mit anderen Menschen, die uns lehren und herausfordern, mit uns zusammenarbeiten und von uns lernen. Wir sind eine medizinische Bewegung, die nicht nur aus Ideen besteht, sondern aus Aktivitäten, die überall auf der Welt stattfinden. Stellen Sie sich die noch größere Bewegung vor – das Bild dessen, was unsere gemeinsamen Hände und Füße, Arme und Beine bewirken, und deren Bedeutung für die Zukunft: „[…] hier haben Sie Arme und Hände, Beine und Füße; aber das, was hier ist, ist geistig, das sind geistige Kräfte. […] Würden Sie nur sie haben, Sie würden sie nicht mit den Augen sehen. Sie sind angefüllt, diese Kräfte sind angefüllt mit den Säften, mit dem Blute, und das, was als mineralische Masse […] Unsichtbares ausfüllt, das sehen Sie [Anm.: schraffiert auf einer Körperzeichnung]. Was Sie im Grabe lassen, was verbrannt wird, das sind nur […] die mineralischen Einschlüsse.“(3) Dies spiegelt die Erfahrungen von alter Schale und neuem Leben wider, denen wir jedes Jahr in der Osterzeit begegnen.

Wir können uns daran erinnern lassen, dass die mineralische Substanz unserer Arbeit notwendig ist, um die gewaltige geistige Aktivität, die dahintersteht, die sie trägt und bezeugt, auszufüllen und sichtbar zu machen. So möchten wir Rudolf Steiner und der tiefen Spiritualität, die er uns hilft, in unser Leben und auf die Erde zu bringen, unsere tiefe Dankbarkeit ausdrücken.

Mit herzlichem Gruß

Adam Blanning, Marion Debus und Karin Michael

 

  1. Vortrag vom 26. Dezember 1917, GA 180.
  2. 5. Vortrag vom 25. August 1918, GA 183.
  3. 6. Vortrag vom 26. August 1918, GA 183.